Berichte von 11/2018

Letzter Blogeintrag

21Nov2018

Hallo zusammen,

 

ich bin jetzt schon seit fünf Monaten wieder zu Hause in Deutschland. Mein Auslandsjahr ist vorbei.

Ich habe es noch nicht ganz realisiert und komme doch ziemlich gut damit klar. Hier in Deutschland hat sich nichts verändert und das ist auch gut so. Zwar wollte ich schon zwei Wochen nach meine Rückkehr noch einen Blogeintrag schreiben, doch wieder in Deutschland wurde der Zauber (ich habe es wirklich geschafft ein Jahr lang, alle zwei Wochen einen Eintrag zu schreiben!!) gebrochen und ich habe es immer weiter vor mich hingeschoben.

Also kamen die Sommerferien und waren auch schon wieder zu Ende, die Schule fing an, ich musste meinen letzten zusammenfassenden Bericht für Rotary schreiben und dann waren schon wieder Herbstferien. Wir trafen uns mit allen ehemaligen Austauschschülern aus Distrikt 1900, um über unser Austauschjahr zu sprechen, ich schrieb meine ersten Klausuren und jetzt sitze ich hier, es ist schon fast Weihnachten und ich bin seit fünf Monaten wieder zu Hause. Wow.

Viel kann ich auch gar nicht mehr erzählen. Wenn ihr diesen Blogeintrag jetzt noch lest, habt ihr wahrscheinlich auch alle davor gesehen und habt alles aus meinem wohl aufregendsten Jahr meines Lebens mitbekommen. Trotzdem hoffe ich, dass noch einige aufregende Jahre in Zukunft auf mich warten werden, diese werde ich allerdings nicht im Internet veröffentlichen. 

Und um diesen Blog endlich vollständig und abgerundet zu haben, hänge ich meinen Abschlussbericht hintendran, der das komplette Jahr noch einmal zusammenfasst. Falls auch Ihr überlegt einmal nach Taiwan zu fliegen, oder dort euer Auslandsjahr zu verbringen, kann ich euch empfehlen diesen Blog zu lesen und Deo einzupacken;)

Danke an alle, die mich unterstützt und bis hierhin begleitet haben.

 

Eure Elena<3

 

 

Hallo zusammen,

 

ich heiße Elena Kirchhoff, bin jetzt 17 Jahre alt und habe letztes Jahr in Taiwan verbracht.

Direkt am Anfang muss ich zugeben, dass ich schon ein paar Minuten vor dem Computer sitze und am überlegen bin, wie ich diesen letzten Bericht anfangen und worüber ich überhaupt reden soll.  Dasselbe Problem hatte ich schon vorher, wenn Bekannte oder Freunde mich gefragt haben, was denn das Beste an meinem Austauschjahr war. Die Wahrheit ist einfach, dass ich gar nicht weiß, was denn überhaupt der Maßstab für das Beste ist.

 

 

 

War es das Beste, als ich ziemlich sprachlos am Sonne-Mond-See stand, weil die Aussicht auf den türkisfarbenen See mit den grünen Bergen so unfassbar schön war?

Oder war es das Beste, als meine amerikanische, beste Freundin einen   Abend Mac & Cheese für mich gemacht hat,  wir uns über seltsame Sachen in den USA und in Deutschland kaputtgelacht haben und wo es sich total normal angefühlt hat in Asien, auf Englisch sprechend mit Freunden rumzuhängen?

Oder war es das Beste, als mich meine Gastmutter auf einen eigentlich eher unspektakulären Markt gebracht hat, wo ich traditionell für das Neue Jahr gereinigt wurde, aber die Taiwanesen einfach so unfassbar begeistert waren, dass ich mir Mühe mit meinem Chinesisch gegeben habe und so fern von allen touristischen Zentren entfernt war, dass ich das Gefühl hatte, wirklich mitten drin zu sein?

Oder war es vielleicht sogar das Beste, wieder in Deutschland anzukommen und zu wissen, dass man es tatsächlich geschafft hatte, ein Jahr alleine in einem fremden Land zu leben und dass jeder Einzelne von uns verdammt stolz darauf sein kann?

 

Es gab so viele kleine, kurze Momente, in denen ich dastand und mir einfach nur dachte: Wow.

 

Und für genau diese Momente hat es sich auch gelohnt, in den weniger schönen Zeiten einfach durchzuhalten. Als ich dann mal wieder stundenlang in der Schule saß und nichts zu tun hatte, habe ich in einem Buch gelesen:

„Es gibt gute und schlechte Tage. Für mich, wie für dich. Man sollte den Schlechten einfach nicht so viel Bedeutung zumessen.“ 

Und danach sollte man auch sein Austauschjahr leben, denn die schlechten Erinnerungen verblassen mit der Zeit, aber die Schönen werden bleiben.

 

Und ein paar schöne Erinnerungen möchte ich jetzt mit euch teilen.

Generell kann man sagen, dass es nicht einfach war taiwanesische Freunde zu finden und das aus mehreren Gründen. Zum Einen ist da die Sprachbarriere. In den Großstädten ist das Englisch der Schüler sehr, sehr gut. Allerdings habe ich auf dem Land gelebt, wo die meisten mir noch nicht einmal ihren Namen und ihr Alter auf Englisch verraten konnte. Zum Anderen waren alle sehr beschäftigt. Nach der Schule war man gegen 5 Uhr zu Hause und viele meiner Mitschüler  gingen noch arbeiten oder in sogenannte cram schools, wo sie weiterhin Unterricht bekamen. Da blieb keine Zeit um sich großartig zu treffen. Dafür waren die Momente, in denen ich mich mit meinen Mitschülern sehr gut verstand, umso wertvoller für mich. Zum Beispiel veranstaltete meine erste Klasse eine kleine Abschiedsparty für mich, als ich nach drei Monaten die Klasse wechseln sollte. Es gab sogar Kuchen. Schön war auch eine kleine Klassenfahrt, bei der ich mich sehr viel mit einem Mädchen unterhalten habe, die sich die Monate davor nicht getraut hat mich anzusprechen. Danach war es irgendwie eine Art Tradition zwischen uns, dass wir jeden Morgen über unser Frühstück geredet haben.  Einmal wollte mir eine Mitschülerin chinesisches Schach beibringen (leider vergeblich). Einmal hat mir eine kleine Gruppe ein paar taiwanesische Sätze beigebracht und einmal habe ich mich mit einem Mitschüler eine komplette Sportstunde über verschiedene Sportarten unterhalten. Denn es war immer so, dass ich ein bisschen gebraucht habe, um mit der Art und Weise, wie eine Person spricht, klarzukommen. Im Gegensatz dazu haben die Leute mit denen ich geredet habe erst mit der Zeit verstanden, dass ich kaum anspruchsvollere Wörter kannte, man aber vieles mit einfachen Worten erklären konnte.  Je mehr ich mich mit einer Person unterhalten habe, desto einfacher wurde es, auch wenn mein Chinesisch sich ab der Hälfte des Jahres kaum mehr verbessert hat.

 

Im Gegensatz dazu, fiel es mir leichter, mit den Austauschschülern klarzukommen. Wir hatten alle viel mehr gemeinsam und konnten deswegen stundenlang über unsere Erfahrungen, aber auch unsere Probleme sprechen. So verbrachten wir unzählige Stunden Bubble Milk Tea trinkend in Parks und Cafés. Unter anderem haben wir uns auch alle an Weihnachten getroffen, um zusammen zum Strand zu gehen (denn es waren ja schließlich 25°C im Winter!) und uns gegenseitig ein bisschen vom Heimweh abzulenken.

Manche sagen, es sei nicht gut, im Auslandsjahr nur mit anderen Austauschschülern herumzuhängen, da man dann die Kultur des Gastlandes nicht kennenlernen würde. Natürlich ist da etwas Wahres dran, trotzdem muss man auch die andere Seite sehen, denn ich habe auch so unfassbar viele Dinge über Taiwan und noch gleichzeitig  über Brasilien, Thailand, Mexiko, Schweden, Frankreich, Japan, Belgien & Co. gelernt.  Einfach weil ich so viel mit Leuten aus diesen Ländern gemacht habe.

 

 

Jeden Montag und Mittwoch habe ich mich auch immer sehr gefreut mit meiner Gastmutter zum Yoga zu fahren. Jaja ich weiß, stereotypischer geht’s gar nicht in Asien. Aber während dieser Autofahrten hat sich meine Gastmutter, die sonst immer sehr sehr viel gearbeitet hat, sich wirklich die Zeit genommen mich kennenzulernen, was bei meinem abgehackten Chinesisch und ihren nicht existenten Englischkenntnissen ein wirklich hartes Stück Arbeit war. Das war auch übrigens die einzige Zeit in meinem Jahr, in dem ich Sport getrieben habe. Danach sind wir jeden Mittwoch noch zu dem Nachtmarkt in unserem kleinen Dorf Gukeng gefahren.

 

Das mit den Nachtmärkten ist so eine Sache. Es gibt sie in groß und in klein, in schön und in hässlich, an berühmten Orten und in kleinen Käffern, mit einzigartigen Sachen und Alltagsgegenständen und sie sind ein so großer Teil von dem Leben in Taiwan, dass ich sie auf jeden Fall einmal erwähnen muss.

Im Grunde genommen sagt der Name Nachtmarkt schon alles. Spätnachmittags bis abends verkaufen kleine Stände einfach alles, von Essen (sehr viel Essen) über Spielsachen und Schmuck bis hin zu spottbilliger Kleidung. Dabei stehen alle Buden so nahe beinander, dass du dich durch die überfüllten  Wege quetschen muss , die Luft riecht nach frittiertem Essen und frischen Früchten und ab und zu erwischt du einen Hauch vom unverwechselbaren Stinky Tofu Duft, der dich am Anfang würgen lässt, an den du dich mit der Zeit aber gewöhnst. Alles ist voller blinkender Lichter und Asiaten, die sich nach dir umgucken (schließlich bist du blond und ein „wei guo ren“!!)  und dort lernst du den größten Teil deines chinesischen Wortschatzes. Und das sind einfach Essensvokabeln.

Es ist einfach großartig.

 

 

  

Ebenfalls großartig sind die Tempelbesuche. Egal welches Problem du hast, irgendein Gott wird dir bestimmt helfen. Du hast nicht für eine Prüfung gelernt und brauchst eine gute Note? Kein Problem besuch einfach in den nächsten Tempel und bitte einen der Götter um Hilfe. Du hast Pech in der Liebe und willst endlich mal einen Ehemann?  Bringe den Göttern ein paar Früchte als Opfer und vielleicht zaubert dir ja irgendein Gott deinen Traummann. Oder du möchtest einfach Schutz auf deiner Reise haben? Lass dir ein besticktes Säckchen segnen und die bösen Geister werden dir fernbleiben.

Und selbst wenn es nicht immer funktioniert: schaden kann es ja nie.

 

Aber jetzt mal ganz ernsthaft. Taiwanesische Tempel sind so wunderschön.

Überall verstecken sich in Stein gehauene Drachen und Statuen, abstrakte Muster verzieren Fenster, Decken und Böden. Kerzen und Laternen erhellen die geschmückten Götter, die aus ihren Nischen  auf dich herab gucken und überall riecht es nach Räucherstäbchen.

Bevor du aber zu den Göttern beten kannst, musst du ein paar Dinge beachten: Als erstes gehst du zu den Tempelwächtern, die keine Priester sind, sondern stinknormale Leute deren Job es ist den Tempel instand zu halten. Meine erste Gastgroßmutter hat zum Beispiel auch in einem Tempel gearbeitet. Dort musst du ein bisschen Geld bezahlen, bekommst dafür aber Räucherstäbchen und chinesisches Papiergeld. Oft hast du auch Obst oder Nudeln mitgenommen, die du auf die dafür vorgesehenen Tische als Opfergabe legst. Danach zündest du deine Räucherstäbchen an und gehst zu dem Gott von dem du etwas möchtest. Die Stäbchen hältst du in beiden Händen und sprichst zu dem Gott. Danach verbeugst du dich dreimal und steckst ein paar Räucherstäbchen in eine Art steinernen Brunnen, in der sich noch andere Räucherstäbchen und die Asche von den bereits Verglühten sammeln. Danach kannst du je nachdem wie groß der Tempel ist und wie viele Götter dort wohnen noch zu den anderen Göttern gehen und vor jedem ein paar Räucherstäbchen lassen. Danach nimmst du noch gegebenenfalls deine Opfergaben wieder mit, damit die nicht ungegessen vergammeln.

Es muss nicht immer genau auf diese Art und Weise ablaufen, aber das hier war die Art, wie meine Familien es mir beigebracht haben und bei der  ich die meisten Taiwanesen beobachtet habe.

Außerdem hoffe ich ehrlich gesagt, dass die Götter international sind, denn manchmal habe ich Deutsch, manchmal Englisch zu ihnen gesprochen und ab und zu habe ich es auch mit Chinesisch versucht.

 

 

 

Generell sind die Taiwanesen sehr freundliche und hilfsbereite Menschen. Sogar die Busfahrer waren da nett und haben sich mit mir unterhalten!! Oder meine Gastfamilie hat mich mehrmals zum Wandern in die Berge gebracht und immer wenn wir anderen, fremden Wanderern begegnet sind, hat man sich erst einmal kurz unterhalten. Einmal hat mir auch eine fremde Frau taiwanesischen Hochzeitskuchen angeboten (ich weiß nicht, ob irgendein Verwandter von ihr geheiratet hat, oder sie den Kuchen einfach so gekauft hat…). Leider musste ich ablehnen, weil ich keine roten Bohnen mag.

 

 

Dadurch, dass sich viele keinen Urlaub außerhalb von Taiwan erlauben können, und erst recht nicht außerhalb von Asien, waren sie ganz versessen darauf mehr über Europa und Amerika zu erfahren. Manchmal war es ein bisschen komisch zu wissen, dass man mir die ganze Aufmerksamkeit nur schenkte, weil ich blond bin. Aber zurück in Deutschland habe ich zum Glück kein Aufmerksamkeitsproblem bekommen, also ist ja nochmal alles gutgegangen…

 

A pro pro zu Hause. Ich bin jetzt seit knapp zwei Monaten wieder in Deutschland und es ist fast gruselig wie problemlos ich mich wieder im Alltag eingefunden habe. Ich hatte erwartet, dass es mir schwer fallen würde, wieder die deutsche Kultur und Lebensweise zu akzeptieren, aber schon am zweiten Tag hat sich alles wieder komplett normal angefühlt. Außer den Türklinken und den Lichtschaltern, was total absurd ist, ich weiß.

Gleichzeitig denke ich, dass es genau das Gleiche sein würde, wenn ich auf der Stelle in einen Flieger steigen und zurück nach Taiwan fliegen würde. Am ersten Tag wäre es vielleicht noch ungewohnt, aber danach wieder total normal.

Denn nach diesem Jahr ist mir Taiwan fast genauso ein Zuhause geworden wie Deutschland. Vielleicht habe ich nicht so nahtlos hineingepasst wie hier, wo meinen blonden Haaren kein zweiter Blick geschenkt wird, aber ich hatte auch meinen Alltag. Ich hatte ein Zimmer, eine Familie, Schule, Lieblingsessen und Probleme.

Und für ein Jahr war das mein Zimmer, meine Familie, meine Schule und meine Probleme.

Für ein Jahr war das mein Leben.

Meine Freundin hat einmal in der Zeitung gelesen, dass die Schüler nach einem Austausch nicht die gleichen Personen sind. Und natürlich habe ich mich verändert. Ich bin „selbstbewusster“ und „eigenständiger“ geworden. Zwei Adjektive, die sehr gerne in Bezug auf Austauschschüler verwendet werden. Im Klartext heißt das aber eigentlich nur, dass ich endlich einmal kapiert habe, dass die meisten Sachen, die man sich im ersten Moment gar nicht zutraut, dann doch möglich sind.

Nach zwei Wochen Chinesisch sprechen, sich mit Mikrofon vor 750 Schülern vorstellen? Klar, kein Problem.

Sich in einem komplett chaotischen Straßensystem nicht von irren Autofahrern überfahren lassen? Mit links!

Zehn Monate in einer fremden Umgebung mit einer unlesbaren Schrift ohne Eltern leben? Ein Klacks.

Und wenn man das alles geschafft hat, wirkt das Abitur auf einmal gar nicht mehr so beängstigend.

Worauf ich aber eben eigentlich hinaufwollte ist, dass ich mich zwar verändert habe, aber eigentlich immer noch dieselbe Person bin. Und eigentlich bin ich auch ganz zufrieden mit mir, etwas, was mir vor Taiwan gar nicht so bewusst war. Ich hatte die Chance nochmal komplett von vorne anzufangen und zu sein, wer immer ich sein will und am Ende war ich dann doch wieder nur ich selbst.

Und da ist noch etwas, das ich gelernt habe. Egal wie viele Freunde und Familie man um sich hat, am Ende des Tages hat man die meiste Zeit mit sich selber verbracht. Deswegen ist es wichtig sich selbst zu mögen, etwas das überhaupt nichts mit Arroganz oder Egoismus zu tun hat.

Und auch wenn jetzt alle, die organisierte, strukturierte und sinnvoll aufgebaute Texte lieben, sowie mein Deutschlehrer, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen werden, fange ich jetzt noch einmal kurz über Taiwan an zu reden.

 

Taiwan ist nicht perfekt.

 

Ich könnte wahrscheinlich eine mehrseitige Liste darüber schreiben, was ich alles an Taiwan nicht mag, was mich sauer macht und wo ich am liebsten einen Schreikrampf bekommen hätte.

Aber ich könnte auch eine genauso lange Liste über Deutschland schreiben.

In jedem Land gibt es Dinge die besonders gut laufen und Dinge, die das Land überhaupt nicht auf die Reihe kriegt. (kleines Beispiel: die taiwanesischen „deutschen Würstchen“ sind absurd schlecht, gebratener Reis hingegen ein absoluter Traum<3)

Ich habe innerhalb weniger Tage entschieden nach Taiwan zu fahren. Chile und Taiwan, das war meine engere Auswahl und ich habe Tabellen geschrieben und mich mit Leuten unterhalten, die ebenfalls da waren und am Ende, nachdem mein Kopf schon zerbrochen war, war es mir schon fast egal und ich dachte mir, dass es bestimmt schon was werden würde.

 

Und es ist etwas geworden.

Und ich würde es genauso wieder machen.

 

Vielen Dank.